Samstag, 23. September 2023

Leben in der Mittelstadt

Kleine Wunder in der Mittelstadt wurden bereits angesprochen. Hier ein weiteres: Das Stadtzentrum wurde mehrtägig zu einer Kirmes mit Fahrgeschäften, Brutzelbuden und Alkoholstationen. Tausende Besucher drängeln sich. Erstaunlich und zugleich wundersam ist die diskrete Abwesenheit von Security Kräften. Das liegt möglicherweise an der besonderen Art, wie hier mit gewaltträchtigen Exzessen umgegangen wird. Wie wir alle wissen, ist Prostitution eine kriminelle Brutstätte. Jedermann hat wohl Bilder aus einschlägigen Städten vor Augen, wo Prostitutionsanbietende in Fenstern sitzen, Interessenten anlocken, die sie nach getaner Tat bezahlen. Im Prinzip ist das auch bei diesem Volksfest so: Im Fenster Sitzende, angelockt werden, bezahlen, zufrieden sein oder auch nicht. Nur sind es in diesem Falle keine Sex-Arbeitenden, sondern übergroße Stofftiere. Und der pädagogische Effekt folgt auf dem Fuße: Hat man eines dieser begehrten Dinge für sich gewonnen, muss man sich den Rest des Tages mit ihm abschleppen. Das ist beim Wunsch, Pommes oder einen Spießbraten mit Soße zu essen hinderlich. Denn wie leicht bekleckert man das Stofftier. So wird erlebbar: Die Befriedigung des einen Bedürfnisses hat die Hemmung einer weiteren Bedürfnisbefriedigung als Folge. Ist das so praktisch Erfahrenen im Hirn eingenistet und als stete Überlegung präsent, vermindert das die Bereitschaft, andere Mitmenschen zu messern oder zu prügeln. Folglich braucht es auch keine Security. Kapiert?

 


Leben in der Mittelstadt 2

Endlich mal was Positives

Unsere westfälische Mittelstadt steckt voller kleiner Wunder. Und so erstaunte es mich nicht sonderlich, dass ich laut Etikett 350 Gramm  Kultur- Champions beim örtlichen Discounter für nur 1,90€ erstehen konnte. Kultur hat derzeit einen sehr schweren Stand. Desto erfreulicher ist es, wenn man ein wenig davon zum günstigen Preis mit nach Hause nehmen kann. Überdies handele es sich Champions, also Wesen, die auf ihrem Gebiet zur Spitze gehören. Das lässt Außerordentliches erwarten. Freudig  erregt überlegte ich, was diese Spitzenkräfte vor dem Verzehr wohl darzubieten hätten. Am besten fragt man sie: Die dritte von Mahler? Keine Reaktion. Meine vernunftbegabte Gefährtin gab zu bedenken, eine Symphonie brauche wohl mehr als 9 Champions. Außerdem ziehe eine Symphonie sich hin, und wir wollten doch zeitig essen. Was Kleineres von Debussy oder ein anderes Genre. Theater- etwa Warten auf Godot. Vorteil: Hier sind nur drei Champions vorgesehen. Den Rest könne man schon mal anbraten. Aber auch hier keine Reaktion. Möglicherweise habe ich einen falschen Kultur-Champion-Begriff. Zählt zu dem Kreis nicht auch die Kultur Staatsministerin C.Roth, die städtischen Kulturreferatsleiter von Städten wie Wolfsburg oder der ehrgeizige und eitle Intendant einer oberpfälzischen Laienschauspielgruppe, die seit Jahren, Stücke im Dialekt aufführen will, sich aber nicht auf einen Dialekt einigen kann.  Selbst bei dieser Frage ließen die Champions jegliche Kooperation vermissen. Schade.