Mittwoch, 22. September 2021

Über den Niedergang menschlicher Intelligenz

 

In jüngster Zeit mehren sich Meldungen und Untersuchungen, die nachzuweisen sich bemühen, dass die menschliche Intelligenz – zumindest in entwickelten Ländern - im Abnehmen begriffen sei. Das erstaunt. Haben doch Untersuchungen  seit Anbeginn derartiger Erhebungen das Gegenteil vermuten lassen: Die Kurve der Intelligenz zeige stetig nach oben.  Darin bestand Konsens. Und nun die Desillusionierung? Eine These zur Erklärung des  unangenehmen Phänomens lautet, es liege wohl an den verfeinerten Messmethoden.

Ich halte dem entgegen: Es liegt an der Entwicklung und der allgemeinen Verbreitung der Bewegtbildmedien. Hier sind explizit nicht die Inhalte derartiger Medien gemeint. Ich behaupte, dass es  unserem Intelligenzzentralorgan, dem Gehirn schlicht an Training und Stimulanz fehlt.

Die Älteren unter uns erinnern sich noch an die Zeiten des SchwarzWeiß-Fernsehens. Oft waren Bild und Ton verrauscht, unscharf bzw. kaum zu verstehen. In dieser Situation leistete das Hirn schier Unglaubliches. Es ergänzte die fehlenden Informationen dergestalt,  dass selbst bei unvollkommenster Wiedergabe der Effekt einer realitätsgetreuen geschaffen wurde. Unser Gehirn ‚dachte‘ sich Farbe hinzu, formte verschwommene Gestalten zu Abbildern realer oder fiktionaler Figuren. Dann trat das Farbfernsehen auf den Plan. Die Farbqualität war beklagenswert. Die Bildauflösung ebenso. Dennoch griff auch hier unser Gehirn wohltätig ein und verbesserte den Gesamteindruck. Wieder eine bemerkenswerte Leistung. Heute nun erleben wir eine Bild- und Tonqualität, die fast schon ‚überreal‘  erscheinen mag. Da bleibt für unser Hirn wenig zu tun. Es verfällt aufgrund mangelnder Stimulanz in Bequemlichkeit. Und Bequemlichkeit ist der Feind jeglicher Positiventwicklung. (Ein analoger Prozess kann auch für die Computerwelt angenommen werden. Waren es ehedem grobpixelige Monster, die Gamer etwa in Verzückung setzten, sind es heute hochauflösende, detailreiche Szenarien und Darstellungen.)

All das trägt zu einer Gehirnträgheit und somit zu einer Abnahme der Intelligenz bei. Lässt sich die Entwicklung aufhalten?

Ein abschließendes Wort des Trostes von dem großartigen Dichter Robert Musil: „ Das Vollkommene erfüllt uns mit Ehrfurcht. Das Unvollkommene aber lieben wir.“