Die Welt ist voller sonderbarer Texte. Beim Schlendern
durch die hochfrequentierte Einkaufszone einer westdeutschen Großstadt fiel der Blick des Arbeitswilligen auf die
Auslage eines Juweliers, der der Produktlinie mit Namen "Engelsrufer"
einen prominenten Platz eingeräumt hat. Dem potenziellen Kunden wird mittels
eines Aufstellers erklärt, warum die Schmuckgegenstände mit dem klingenden
Namen "Engelsrufer" seiner Kaufentscheidung (Purchase Decision)
würdig seien. Man liest dort
...manchmal zum Sonnenaufgang,
wenn wir nicht genau wissen, ob wir schlafen
oder wach sind,
oder zur Abenddämmerung, wenn sich Schatten
bilden,
die uns an unseren Gefühlen zweifeln lassen,
spüren wir eine unsichtbare Präsenz, ein Flüstern, ein Flattern,
einen Flügelschlag bis hin zu einem Gefühl,
dass etwas unsere Wangen streichelt...
etwas, das wir nicht definieren können.
Das sind die Engel, die uns umgeben, die kommen und gehen.
Sie hören unsere Geheimnisse, unser Flüstern
und kennen unsere Wünsche.
Das ist ja eine feine Sache mit den Engeln. Dem ein oder
anderen wird es jedoch schwer fallen, an ihre Existenz zu glauben. Das mag allerdings an einer gewissen Abstumpfung durch alltägliches Auf und Ab liegen . Vielen
armen Erdenwesen bleibt so die Engelssphäre möglicherweise verschlossen.
Kein Grund zur Verzweiflung. Diesen Menschen kann
geholfen werden durch den Kauf eines Produktes der Marke
"Engelsrufer" wie sie im Schaufenster des Juweliers ausliegen. (
Online kann man die auch beziehen). Wie das funktioniert, darüber informiert
der Schlusssatz des ambitionierten Textes.
Falls Du den Glauben an sie durch Kummer,
Verluste im Leben oder Schmerz verloren hast,
dann ist das hier, Dein Engelsrufer, damit sie Dich und Du wieder zu ihnen finden
kannst.
Darf man davon ausgehen, dass Engel schwere Grammatikfehler verzeihen? Der
Arbeitswillige weiß das nicht mit Bestimmtheit. Falls Engel sich jedoch
aufgrund von derartigen Fehlern abgestoßen fühlen und sich von mit derartigen
Texten beworbenen Produkten gar nicht rufen lassen wollen,
dann muss man doch tätig werden. Der Arbeitswillige setzt
also eine Mail an den Geschäftsführer der Engelsruferfirma auf:
Dieser Satz, sehr geehrter Herr B., ist sehr
falsch. Denn “finden kannst” gilt nur für das Subjekt “Du”. Also: ....
damit Du zu ihnen finden kannst. Nun gibt es in dem Satz noch ein weiteres
Subjekt: “sie” (die Engel). Korrekterweise müsste der Satz dann lauten: ....
damit sie Dich finden können.
Was Sie vielleicht meinen lautete etwa so: Damit
Du sie finden kannst und sie Dich finden können. Das ist nicht besonders
elegant aber richtig. Ich nehme an, dass Ihr Unternehmen diese
Textleistung, die sich auch in Ihrem Webauftritt wiederfindet, gegen Entgelt in
Auftrag gegeben hat. In diesem Falle fordern Sie Geld zurück.
Herr B. antwortet nicht. Vielleicht empfindet er die
Hinweise des Arbeitswilligen als Unverschämtheit und ärgert sich dermaßen
darüber, dass er seine guten Kontakte zu Engeln nutzt, um einige Heerscharen
auf ihn zu hetzen. Es soll unter den Engeln ja auch ein paar ziemlich militante
Exemplare geben.
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