Mittwoch, 10. Juli 2013

Herausforderung- Eine Betrachtung über magisches Denken.







Neulich hat der Arbeitswillige in einer Absage lesen dürfen:
"vielen Dank für Ihr Interesse an einer Herausforderung in unserer Agentur."
Da ist er wieder. Einer der Zentralbegriffe des Businesssprechs: Herausforderung. Das ist ein Begriff von wundersam nuancenreichem  Zuschnitt. ( Wer das nicht glaubt, blicke kurz in den Duden.)
Nun scheint sich die Auffassung durchgesetzt zu haben, Homo sapiens könne nicht ohne Herausforderung existieren. Denn fehle es an Herausforderung - gerne auch im Plural - so verbringe der  Mensch seine kümmerliche Existenz trübäugig in der sumpfigen Sphäre dumpfigster Alltagssuppe.  Auf der anderen Seite weiß die Alltagsklugheit aber auch: Man solle sich nicht leicht herausfordern ( wohl im Sinne von provozieren) lassen.   
Wie auch immer "Herausforderung" ist ein "sine qua non" in der Arbeitswelt. Wie lange der Begriff allerdings noch wirken kann,  ist aber fraglich. Neue Begriffe machen der  "Herausforderung" den Rang streitig.  Zum Beispiel der schöne Begriff "Battle".  So las der Arbeitswillige in einem Fitnessstudio die Aufforderung: "Battle dich gegen dich selbst".  Der Arbeitslose schließt daraus, wem Herausforderung nicht reicht, der muss demnächst Battle schreiben oder signalisieren oder sagen. Aber so modern sind die Gralshüter des Businesssprechs noch nicht - jedenfalls noch nicht auf breiter Front. Übrigens kennen Kenner von Grimms Märchen längst  die höchste Perfektion eines " Battle-Dich-Gegen-Dich-Selbst". Rumpelstilzchen. Am Ende der Geschichte, reißt sich Rumpelstilzchen selbst entzwei. Bei Märchenfreunden gilt das als glückliches Ende. Ende der Abschweifung und zurück zum "Interesse an einer Herausforderung in der Agentur" . Diese Herausforderung ist ja nicht näher spezifiziert. Das kann folglich bedeuten, der Arbeitswillige könne sich seine Herausforderung in der  Agentur selbst suchen. Was wäre denn eine tolle Herausforderung? Der Arbeitswillige könnte etwa bei den Klitschkos anrufen und sagen: Liebe Klitschkos, ich brauche eine Herausforderung, möchte Sie gerne herausfordern. Wie wär's? Wann passte es denn? Und die Klitschkos würden sagen:  Das ginge im Prinzip in Ordnung. Allerdings müsse der Arbeitswillige erst klären, in welchem der weltweit agierenden Boxverbände er sei. Mit dieser Auskunft ginge der Arbeitswillige dann zum dem Agenturvorgesetzen (m/w) und der/die würde dann sagen: Bitteschön, da haben Sie doch Ihre Herausforderung. Klären Sie das mit dem Boxverband!
Mag aber auch sein, die in der Agentur verstehen etwas anderes unter Herausforderung. Hier ist nun zu beachten, in welchem Kontext der Begriff "Herausforderung" im Businesssprech verwendet wird.
Herausforderung hat  hier Termini wie Schwierigkeit oder Problem verdrängt. Warum ein Problem nicht mehr Problem  und Schwierigkeit nicht mehr  Schwierigkeit genannt werden darf, lässt sich nur vermuten. Wahrscheinlich haben letztgenannte eine  zu negative Gravitas.
So wird ein Chef angesichts der katastrophalen Umsatzzahlen niemals vor versammelter Mannschaft sagen: Leute, wir stehen vor groooooßen Schwierigkeiten.  Er wird sagen: Wir stehen vor Herausforderungen.  Das klingt irgendwie harmloser. Verharmlosung  ist Trend, schon seit Jahrtausenden. Die alten Griechen nannten ihre Rachegöttinnen , Erinyen, später "Euminiden" ( die Wohlmeinenden). Dahinter steckt wohl der magische Glaube, dass wenn man sie nicht nennt, sie auch nicht heraufbeschwört.  In die gleiche Richtung zielt auch die Volksweisheit: " Wenn man den Teufel nennt, schon kommt er gerennt." Wir lernen, magisches Denken wirkt auch in der modernen Businesswelt nach. (In diesem Zusammenhang  siehe auch die Vermeidung des  Namens Voldemort bei Harry Potter.) 
Im  Alltag klappt das nicht immer im gewünschten Maße. Nehmen wir mal an, besagter Chef (der mit der Herausforderung  angesichts der Katastrophe)  konsultierte seinen Urologen und spräche: Herr Doktor (m/w) ich habe Herausforderungen beim Pinkeln. Der Arzt würde sich und seinen Patienten fragen , ob der Patient nicht eher einen Psychologen aufsuchen wolle.  Darauf würde der Chef, falls er denn gewitzt ist, erwidern: Lieber Arzt (m/w) Die Herausforderung liegt bei Ihnen, mich von meinen Herausforderungen zu befreien.  Nein, so geht das nicht. Dennoch, erlauben wir uns den Spaß,  in die Zukunft zu schauen. In eine Zukunft, in der die Herausforderung im Zuge sich radikalisierenden Wettbewerbs von dem Begriff "Battle" ersetzt worden ist.  Dieselbe Szene klänge dann so:  Doc ich hab´ne Battle beim Pinkeln. etc.
Zurück zur Absage.
Ihre Bewerbungsunterlagen waren für uns wirklich sehr interessant. Leider müssen wir Ihnen jedoch mitteilen, dass wir Ihnen auf Basis Ihres Profils zurzeit leider keine optimale Position anbieten können.
(Der Arbeitswillige weiß, "interessant" ist die kleine Schwester von "scheiße". Das nur nebenbei.)  Es gibt keine optimale Position. Auf Optimales hat der Arbeitswillige auch nicht zu hoffen gewagt. Wer kann schon das Optimale anbieten?  Optimal ist der Endpunkt, ein Idealzustand, der keinen Raum für Herausforderungen zulässt. Denn warum sollte man sich Herausforderungen mit dem Ziel von Verbesserungen stellen, wenn doch bereits alles optimal ist? Oder verstehen die in der Agentur unter einer optimalen Position eine Tätigkeit (besser als Position, weil Position ja Statisches impliziert), bei der  Arbeitswillige ständig vor Herausforderungen ( künftig :Battles) stehen?
Ach ja: Kann jemand dem Arbeitswilligen mit der Telefonnummer von den Klitschkos aushelfen?
Vielen Dank.





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